MAX NEUMANN
H U B E R T U S...V O N...A M E L U N X E N
Rede zur Ausstellungseröffnung in der Villa Wessel April 2009


Max Neumann oder das selig Animalische



Am 27. April 2006 zeichnet Max Neumann einen uns, den Betrachtern, abgewandten Menschen. Der massige Körper ist von einem schwarzen Kleid umhangen, nur ein Ausschnitt führt zum Kopf, zum scharf gezeichneten, dominanten Ohr und den an kahler Hirnschale heftenden Blüten, Rosen oder Astern oder nur gesetzten, dynamischen Kontrapunkten und die Farbe der Haut ist die des Untergrunds des Bildes, verwaschen grau-gelblich, vom Ungewissen gesättigt. Sein Blick ist nicht – “Absence de regards - chose terrible”, schrieb Baudelaire in Belgien - und hurtig und fest den Umrissen des abgewandten Kopfes enlang gezogene Striche verstärken noch die Abwesenheit des Blicks, ‘untermalen’ das ausgezogene Sehen. Im unteren Drittel, getrennt durch eine grade Linie vollzieht sich nicht minder Unheimliches. Skizzenhaft sehen wir dort zwei Menschen, - Humanoiden, sollte man beim Anthropologen Max Neumann sagen - auf der Schwelle zwischen Erscheinen und Verschwinden, zwischen menschlichem und animalischem, und zwei weisse, nein geweisste Bälle, die schwebend einander berühren und rechts schliesslich eines dieser sonderbaren Gefässe, die Max Neumann in seinen Bildern plaziert, als gälte es Welthaftigkeit ind der Weltfremdheit zu bezeugen.

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Am 26. Juli 2006 zeichnet Max Neumann einen weiss getünchten Schädel, ein homo sapiens zweifellos, mit einem herausragenden, unbeweglichen und ungerichteten Ohr, über ihm, wieder von einer Linie getrennt, ein rätselhaftes Objekt, ein Schrein, ein Vogelgrab, und unter ihm sechs Menschen zu drei Männerpaaren verschmolzen. Das Ohr übernimmt häufig eine wirkende Rolle in Max Neumanns Bildern, als gälte es die Sichtbarkeit der Welt durch den Anruf, das Hören zu ersetzen – Echo und Narzissus. Narzissus sollte leben nur so lange er sich fremd bliebe, sagte der blinde Weise Tiresias.

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Am 9. Dezember 2007 zeichnet – überzeichnet - er präzise einen Vogel, einen Eichelhäher, und wieder einen Mann, dieses Mal mit angedeuteten Sinnen auf hell rötlichem, fleischfarbenen Untergrund wie Augen, Nase und Mund und einem zum Fortgang aus dem Bild bereiten, mit blauer Jacke versehenen Körper, der schon ins Dunkel tritt. Was heisst, ins Dunkel tritt, er ist im Dunkel, nur das Bild, wie ein Fenster ohne aussen, wirft Helle. Der Vogel ist groß, so groß wie der Mensch und grösser noch, seine Flügel sieht man nicht, aber den stolzen, zum Abbild für die Ewigkeit gerichteten Kopf. Der Mann, mit dem Rücken zu dem Bild des Vogels gewandt, hat es abgeschritten und hätte er noch die Zeit, hätte es noch Zeit gegeben, würde er aus dem Bild fortgehen. Der Vogel aber war schon da vor dem Mann; dieses Blatt ist eines der vierundzwanzig von Max Neumann überzeichneten Blätter aus einem Skizzenbuch, einem scrap-book, des 19. Jahrhunderts, das angestrengt wirkichkeitsnah vor allem Tiere, aber auch mal einen Korb oder eine Hand oder eine Schlittenfahrt von studierter Hand aufgenommen hatte.

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Im März 2007 zeichnet und malt er sechzehn Porträts, Menschen schwarz gewandt, deren weiss getünchte und gewaltzte Gesichter sich zum Kleiderausschnitt hin verlängern, mal frontal, mal im Halbprofil, beinahe typologisch, immer aber totenähnlich mit den von der Maske zum Anblick ausgesparten, gleichwohl verschlossenen Sinnen. Die Maske bietet dem Gesicht, Ort der höchsten Verwundbarkeit, Schutz, verdeckt und birgt die Individualität, das Selbst des Menschen. Mit einem Mal, die Maske aufgetan, wird der Mensch “zum undurchsichtigen Tier”, wie Nietzsche es formulierte, allem Selbst ledig und unerkannt diesem doch ganz auf der Spur. Die Maske erlaubt, auf Sichtbarkeit keine Rücksicht mehr zu nehmen. Zugleich wirken aber die Masken wie geschminkt, als liessen sie einmal den Sinnen Bedeutung zukommen. “Man lebt nur so lange, wie man sich zurecht macht …”, schrieb Ludwig Marcuse, und “Wer das Angesehen-Werden nicht mehr in Betracht zieht (nicht mehr diese subtilste Schminke), läßt sich in den Tod fallen …”

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‘In den Tod fallen lassen’, heute, am 24. April 2009, hier vor Ihnen, empfinde ich eine tiefe, ursprüngliche, also verunsichernde Bewunderung für die Kunst von Max Neumann und geht es darum, sie mitzuteilen, bleibt mir nichts anderes als der Sprache zuzusagen. Max Neumann gibt seinen Bildern keine Titel mehr, schon lange nicht mehr, sagt er, um einer lästigen Zuweisung, Verortung und Identifizierung der Bilder durch vorschnelle Spürnasen, die wir sind, zu entgehen. Allein Datum und Name stehen auf den Zeichnungen, mal oben, mal unten plaziert. Beide, Datum und Name, Zeit und Ruf, scheinen mir wichtig zu sein, wichtig für eine kleine Lesart dieser Bilder, die ich Ihnen hier vorstelle. An Zeit und Name halte ich mich gleichsam fest. Die Zeit tritt umso mehr in der Bildraum, als Neumanns Bilder vom Raum nur in der Trennung, der Teilung, oder Aufteilung handeln, sie bieten keinen perspektivisch illusionistischen Raum, sondern schichten nur den Auftrag von Strichen, Farben, Verwischungen und Ölungen. Keine Entwicklung ist in den Bildern spürbar, gar nichts ist wiederholbar, die Figuren sind Solitäre, abgeschieden von Gemeinschaft und Fortleben. Max Neumanns Bild des Menschen erscheint uns als eine gedehnte Momentaufnahme der conditio humana, manchmal karikatural, komisch im Sinne Baudelaires, dass alles Lachen dem Fall folgt, dem großen Fall, - selig also das Animalische - manches Mal Ausdruck blossen Entsetzens angesichts der zertrümmerten Souveränität des Menschen. Ich denke an die kleine Erzählung von Cesare Pavese, “Der Ruf” betitelt. Sie handelt von einem Fenster durch das man blickt und draussen im Land schwingen Mohnblumen, unklar ob nah oder in der Ferne und vielleicht gar nur im Traum und dann sagt der Erzähler: “Mir war das Herz schwer, weil ich begriff: Nichts würde geschehen; was geschehen konnte, war schon gewesen; alles war in diesem Zimmer und in diesem Fenster enhalten.” Wenn es ein Räumliches in Max Neumanns Zeichnungen gibt, dann ist es gewesen , und hat einen Abdruck, eine flüchtige Impression hinterlassen, - wie ein Klang, der schwingt und nur im Nachhallen klingt, ein Echo, deren Seele in den kuriosen Gefäßen Neumanns haust und in den Bildern Töne als Bälle, helle, schwarze oder rote Kreise als Ausdruck verklungener Silben verbleiben läßt.

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Wie denn sehen wir Bilder, die uns entschlossen den Anblick versagen, Menschen, deren Sehen wir nicht auf die Spur kommen, weil ihre Organe nicht sichtbar sind, nicht geblendet oder verhüllt, gar nicht oder nur als Andeutung gesetzt oder gezogen? Visibilität setzt Fremderfahrung voraus, wir sehen im Wissen gesehen zu werden und wie elementar verstörend dann ist der Eindruck, nicht gesehen zu werden, Eindruck der Solitäre, so nenne ich sie, sie Solitäre Neumanns, aber auch die Solitäre der Betrachter. Es ist wie bei Kindern, die die Augen schliessen, um nicht gesehen zu werden, ganz allein bei sich sind. Der Solitär findet Gemeinschaft bei Neumann nur als Ausstattung, ansonsten ist er abgeschieden von jeder Äusserlichkeit des Selbst, von jeder Fremderfahrung und jeder Andersheit. Man möchte Max Neumann einen Phänomenologen/Anthropologen nennen, einen lachend geklärten Sysiphos heute, der mit jedem Zug des Menschenbildes das Humane zeichnet, bis es wieder ins Massengrab fällt und wieder und wieder. Die Menschen von Max Neumann haben alle Spiegel und aller Wasser versteckt, sie erkennen weder sich noch andere, brauchen weder Augen noch Brillen und Brillen nur, um die Abwesenheit des Blickes zu verbergen, und manchmal, wie in der Zeichnung vom 8. August 2006, kauert einer sich animalisch zusammengekrümmt auf den Boden ob des mächtigen Erscheinens eines Anderen als Bild im Fadenkreuz.

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Am 11. Juli 2006 zeichnet er einen muskulösen Körper, einen Humanoiden möchte man sagen, auf schwarzem Untergrund, der das Bild horizontal teilt, gestützt, den Oberkörper nach rechts abgwandt, im Nichts abgesetzt, ein hohles Auge, Nasenansatz und eingezogenen Mund flüchtig angedeutet und wieder ein dominantes, scharf und bald bis zum Oberkiefer gezogenes Ohr, das vernehmen soll, was kein Auge zu sehen bekommt. Ein früher Phänomenologe, Otto Liebmann, noch weit von den Grauen des 20. Jahrhunderts entfernt, hatte 1863 einen Menschen als Solitär beschrieben: “Gäbe es niemand und nichts, was den Einzigen wahrnehmen könnte, dann würde sein imaginativ vorzustellender Leib gar nicht vollständig, sondern nur fragmentarisch vorhanden sein, obgleich er gerade so ein Mensch wäre wie wir.” Bei Max Neumann aber ist es so, als wäre einst der Leib vollständig gewesen, ganz als gäbe es die Erinnerung an ein Sehen, an Blicke, die das Menschenbild bildeten, dies alles aber nun der Sichtbarkeit entzogen ist, und auch dem Werden menschlicher Gemeinschaft.

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So ist es, wir können aber auch lachen, auch darüber das diese Figuren immer wieder einen Weg ins Bild finden, wie in einer endlosen Bildererzählungen, einem Comix, nur dass jedes Bild Abschluss und Ende, aber einer Fortsetzung sicher ist. Und schauen Sie sich die Zeichnung vom 7. April 2008 an, dort steht der skellettierte Schimpanse, den Rücken einem der Gefäße Max Neumanns zugewandt, und schaut man hin, so könnte es eine Wiege sein – selig animalisch.
Ich danke ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


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